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Chancengerechtigkeit statt Abstiegsangst

Chancengerechtigkeit statt Abstiegsangst

Die Debatte um die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte ist in vollem Gange – mal wieder. In einer Umfrage der DIHK unter 1.600 Unternehmen im Sommer letzten Jahres gaben etwa zwei Drittel an, keine Fachkräfte für ihren Betrieb finden zu können. Ohne qualifizierte Zuwanderung geht es also sicher nicht.

Dabei ist es aber naiv zu glauben, der Mangel an Hochqualifizierten lasse sich ausschließlich durch Anwerbung im Ausland beheben. Das haben ähnliche Kampagnen in der Vergangenheit deutlich gezeigt. Es ist deswegen umso schlimmer, dass ein großer Teil unseres Talentpools nicht nur ungenutzt bleibt, sondern – sofern es um die sogenannte Unterschicht geht – sogar als Belastung gesehen wird.

Gleichzeitig hat die soziale Aufstiegsdynamik in den 90er Jahren deutlich an Schwung verloren. Während die Mittel- und Oberschicht zu Zeiten des „Wirtschaftswunders“ deutlich angewachsen war und auch in den 70er und 80er Jahren Millionen von Arbeiterkindern dank der Bildungsreform der soziale Aufstieg gelang, sind die Barrieren gerade zwischen Unter- und Mittelschicht wieder höher geworden. Statt Aufstiegshoffnung herrschen Abstiegsängste.

Besonders für Menschen mit Migrationshintergrund ist ein sozialer Aufstieg eher die Ausnahme als die Regel. Für ein Einwanderungsland wie Deutschland ist das nicht hinnehmbar. Nur wenn alle Mitglieder der Gesellschaft eine realistische Aussicht haben, aus eigener Kraft den sozialen Aufstieg zu schaffen, kann eine Integration wirklich stattfinden.

Gleichzeitig ist Bildungsarmut eines der größten Hemmnisse für einen sozialen Aufstiegs. Nach wie vor haben Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern wesentlich geringere Chancen, hohe Bildungsabschlüsse zu erreichen. Dabei zeigt der internationale Vergleich, dass es auch anders geht:

In Großbritannien bieten „Sure Start Children’s Centres“ schon seit 1998 frühkindliche Bildung, Tagesbetreuung, Gesundheitsfürsorge und Familienhilfe aus einer Hand an und in Frankreich finden seit 2001 Sonderaufnahmeverfahren für besonders gute AbiturientInnen in sozial benachteiligten Wohngebieten statt.

Dagegen können nur 15 Prozent der Kinder in Westdeutschland zwischen drei bis fünf Jahren Kindertagesstätten besuchen und mit zehn Jahren werden die Kinder ohnehin in den Halbtagsschulen aufgeteilt. Die Tendenz geht dabei naturgemäß zur sogenannten Selbstreproduktion der Eliten. Wer es sich finanziell leisten kann und sich gut im Bildungsbereich auskennt, weiß, wo und wie man sich gezielt und gut informiert, dessen Kinder haben auch die Chance, später ebenfalls in einem gut bezahlten, eher sicheren und sozial angesehenen Beruf zu arbeiten. Chancengerechtigkeit sieht anders aus, denn nur wenn wirklich jeder Einzelne unabhängig von seiner Biografie befähigt wird, im Leben aus eigener Kraft erfolgreich zu sein, können wir von einer aufstiegsoffenen Gesellschaft sprechen und mit deren Potentialen planen.

Bei aller Sorge um den sozialen Abstieg dürfen wir uns die Chancen für den sozialen Aufstieg nicht mit strukturellen Blockaden verbauen. Gleicher Zugang zu Bildung, Arbeit und Kultur ohne Diskriminierung und herkunftsbedingter Benachteiligung ist die entscheidende Voraussetzung für eine chancengerechte Gesellschaft mit zukunftsfähiger Innovationskraft und ökonomischer Dynamik.

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